Mythen und Gerüchte über Haarausfall
Vorwort
Sehr geehrte Leserinnen und Leser,
die Gestaltung des menschlichen Haupthaars war seit jeher ein Prozess von grosser sozialer und kultureller Bedeutung. Die Mitglieder von Religionen und Kasten waren dementsprechend seit sehr langer Zeit darum bemüht, ihren soziokulturellen Status über das Haar darzustellen und für andere sichtbar nach aussen zu tragen. Auch wenn die Tatsache, dass die Frisur die Zuordnung zu bestimmten gesellschaftlichen Gruppen ermöglicht, heute hintergründiger sein mag, so darf nicht vergessen werden, dass nahezu alle Menschen das Aussehen der Haare in ihre ästhetische Selbstbeurteilung einfliessen lassen. Wo also früher das Haar der Definition des eigenen gesellschaftlichen Standes diente, so dient es in der modernen Welt vornehmlich der Nachvollziehbarkeit der ästhetischen Selbstwirksamkeit und ist dementsprechend wichtig für das Individuum und dessen Wohlbefinden. Aus diesen Gründen scheint es nicht verwunderlich, dass ein unkontrollierter und möglicherweise krankheitsbedingter Verlust des Haupthaars (Alopezie) die Betroffenen vor grosse Probleme stellt. Daher hat sich die Menschheit bereits vor dem Beginn der modernen Naturwissenschaften damit beschäftigt, wie sich der Haarausfall aufhalten lässt oder man ihn gar rückgängig machen könnte. In diesem Zusammenhang haben sich im Laufe der Zeit zahlreiche Mythen entwickelt, die davon handeln, wie Haarausfall angeblich entsteht und wie man ihm vermeintlich entgegenwirken kann.
Im vorliegenden Artikel wurde für Sie eine Auswahl der Mythen und Legenden um den Haarausfall zusammengetragen. Diese sind bisweilen erheiternd; falls sie tatsächlich umgesetzt werden, jedoch teilweise gefährlich und gesundheitsschädlich. Bitte vergessen Sie deshalb bei der Lektüre des Artikels nicht, dass die vorgestellten Gründe für und Massnahmen gegen Haarausfall erst in zweiter Linie amüsant sind; in erster Linie sind es historisch gewachsene Mythen und Legenden, die niemanden zur Nachahmung animieren sollten.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen viel Freude bei der Lektüre! Herzlichst Ihre Angela Lehmann
Mythen über die Ursachen von Haarausfall
Der vorliegende Abschnitt enthält Mythen, die sich über die Ursachen von Haarausfall entwickelt haben. Wie Sie sehen werden, halten diese jedoch einer wissenschaftlichen Betrachtung nach dem heutigen Kenntnisstand nicht mehr stand. Dementsprechend können sie als zugrunde liegende Ursache eines Haarausfalls ausgeschlossen werden.
Negative Emotionen und Melancholie
Schon seit langer Zeit glaubte man mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit beobachtet zu haben, dass eine Alopezie mit negativen Emotionen und Melancholie der Betroffenen einhergeht und deshalb für diese ursächlich sein müssten. Menschen, die oft unter schlechter Laune oder belastenden Gefühlen zu leiden hätten, wären dementsprechend einem grösseren Risiko für Haarausfall ausgesetzt.
Aus heutiger Sicht ist es keineswegs einfach, diesem Mythos etwas entgegenzusetzen, denn scheint die Beobachtung an sich nicht tatsächlich zuzutreffen? Aus statistischer Sicht mag sie vielleicht sogar etwas zu oft zutreffen, denn jeder Mensch wird in seinem Leben an einen Punkt der Niedergeschlagenheit oder Trauer gelangen, ohne dass er sich diesen Gefühlen entziehen könnte. Die Ursache hierfür könnte beispielsweise ein Unglück oder ein Schicksalsschlag sein, jedoch beobachten die Wissenschaftler keine Häufung des plötzlich auftretenden Haarausfalls, bei Menschen, denen ein grosses Unglück widerfahren ist. Eine solche Beobachtung wäre beispielsweise bei Kriegen zu erwarten, aber sie wurde bislang nicht gemacht. Es scheint hier also keine Kausalbeziehung zwischen erlebtem Unglück und dem Haarausfall zu bestehen.
Grosse geistige oder körperliche Anstrengungen
Historisch war es durchaus üblich, grosse geistige oder körperliche Anstrengungen einer Person für deren Alopezie verantwortlich zu machen. Dabei ist das begriffliche Spektrum, das durch geistig und körperlich abgedeckt wird, ein sehr breites: Einerseits sind damit ständiges Grübeln oder das Lösen grosser geistiger Aufgaben gemeint, was sich beispielsweise in dem Ausdruck Denkerstirn zeigt. Auch sagt jemand, der ein hartnäckiges Problem nicht lösen kann, dass dieses zum Haare raufen sei. Andererseits wurde auch ein anstrengendes, ausschweifendes Sexualleben für den Haarverlust verantwortlich gemacht.
Mit Ersterem, der geistigen Anstrengung, verhält es sich ähnlich wie mit den negativen Gefühlen: Niemand ist im Laufe des Lebens davor gefeit, sich geistig anstrengen zu müssen; und so scheint intuitiv nahezuliegen, dass eine Tätigkeit, die fast ausschliesslich mit dem Kopf verrichtet wird, ihre gravierendste Auswirkung auch in einer Aussehensveränderung des entsprechenden Körperteils hat. Erschwerend kommt hinzu, dass nachdenkende Person oft sitzend stilisiert werden und wenn die Hand nicht gerade den Stift auf das vor ihr liegende Papier führt, berührt die betreffende Person meist ihre Stirn oder Schläfe, was die Kausalbeziehung weiter zu verschärfen scheint. Jedoch gilt auch hier: Empirisch gibt es keine Hinweise dafür, dass Nachdenken und Problemlösen zu Alopezie führen, denn sonst liessen sich vor zentralen Prüfungen in Schulen oder Universitäten grössere Zahlen von Menschen ohne Haupthaar finden. Dem ist jedoch nicht so. Dennoch sollte ein anderer Zusammenhang nicht unerwähnt bleiben: Ähnlich wie im Falle von Depressionen kann es auch bei Menschen, die übermässig viel Zeit mit Nachdenken verbringen, dazu kommen, dass über die Probleme hinweg eine ausgewogene Ernährung vergessen wird oder sie unter allgemeiner Appetitlosigkeit leiden. Dies kann in beiden Fällen wiederum zu einer Unterversorgung mit wichtigen Nährstoffen führen. Eine solche Mangelernährung über einen längeren Zeitraum kann dann jedoch durchaus ein Haarverlust folgen.
Wieder etwas anders liegen die Dinge, wenn ein ausschweifendes Sexualleben als Ursache der Alopezie unterstellt wird. Hierbei ist es nicht die übermässige körperliche Anstrengung, die vordergründig mit dem erhöhten Alopezierisiko in Zusammenhang gebracht wird. In der Tat ist es eher die mitschwingende Unterstellung, dass eine Person mit einem derart ausschweifenden Leben auch zahlreiche wechselnde Geschlechtspartner haben müsste. Tatsächlich finden sich historische Belege dafür, dass es einen wissenschaftlichen Zusammenhang zwischen Alopezie und häufig wechselnden Partnern gibt: In der früheren Zeit war die Syphilis eine der am häufigsten sexuell übertragenen Krankheiten. Dabei handelt es sich um eine durch das Bakterium Treponema pallidum verursachte Infektionskrankheit, die unter anderem durch Schleimhautkontakt übertragen werden kann. Die Syphilis verläuft in vier Stadien, wobei es bei einer grösseren Anzahl der Infizierten im zweiten oder dritten Krankheitsstadium zum Verlust des Haupthaars (Alopecia syphilitica) kommt. Dieser manifestiert sich als kleinfleckiger, mottenfrassartiger Haarausfall hauptsächlich an den Seiten und am Hinterkopf. Im Verlauf des 20. Jahrhunderts wurde die Erkrankung jedoch in weiten Teilen der Welt eingedämmt, da seit dieser Zeit sowohl bessere Verhütungsmethoden als auch leistungsfähigere Antibiotika zur Bekämpfung des Erregers zur Verfügung stehen. Aus diesen Gründen sollte eine Syphilisinfektion bei einer plötzlichen idiopathischen Alopezie nicht generell ausgeschlossen werden, jedoch kann begründet angenommen werden, dass der syphilitische Haarverlust unter allen Haarausfallursachen eine stark nachgeordnete Rolle spielt. Darüber hinaus treten im Falle einer Syphilisinfektion noch andere Symptome auf, die für die Betroffenen zu einer Last werden, bevor sich eine Alopecia syphilitica überhaupt entwickelt.
Parasiten und Kommensalen
Seitdem die Forscher Mikroskope und andere Geräte zur Vergrösserung von kleinen und kleinsten Objekten und Lebewesen entwickelt haben, wurde die Menschheit immer wieder in Erstaunen darüber versetzt, wie gross die Vielfalt der mit ihnen und vor allem auf ihnen lebenden Mikroorganismen ist. Einige dieser Mikroorganismen wurden schnell als Krankheitserreger oder Parasiten identifiziert, da sie konkrete Beschwerden auslösen. Andere wiederum blieben lange Zeit unentdeckt, da sie schlicht nicht auffielen. Die Partner eines solchen unauffälligen Miteinanders würde man heute als Kommensalen bezeichnen.
Es dauerte dann auch nicht lange, bis man glaubte, eine weitere Ursache für Haarverlust identifiziert zu haben: die Vertreter der Spezies Trychophyton ssp. Dabei handelt es sich um eine Gruppe von Pilzen, die die menschliche Haut und Nägel besiedelt und dabei Hautkrankheiten verursachen können. Ist die Kopfhaut von einer Infektion betroffen, kann dies zur Ausbildung einer Tinea capitis führen, der Scherpilzflechte. Damit dieser parasitäre Pilz überleben kann, dringt er über die Kopfhaut zum Haar vor und ernährt sich von dessen Keratin (Hauptbestandteil der Haarsubstanz), wodurch die betroffenen Haare spröde werden und bei einer geringen mechanischen Belastung kurz über der Kopfhaut abbrechen. Menschen mit einer derartigen Erkrankung zeigen auf der Kopfhaut scharf abgegrenzte scheinbar haarlose Areale (historisch: Alopecia celsi). Derartige Erkrankungen sind mithilfe pilzhemmender Shampoos und gängigen Antimykotika gut behandelbar, sodass es sich um eine reversible Form des Haarausfalls handelt.
Daneben leben etwa 70 Prozent aller Menschen zusammen mit Haarbalgmilben (Demodex ssp.). Während diese Milbenart die meisten Säugetierarten parasitär befällt, scheint sie beim Menschen fast ausschliesslich als Kommensale aufzutreten. Jedoch gilt sowohl für Haarbalgmilben als auch für den oben erwähnten Pilz: Eine Besiedlung muss nicht zwangsläufig zum Haarverlust führen, denn ob dieser eintritt, hängt von mehreren Faktoren ab. Der wichtigste voran ist der Immunstatus der Person und dieser wird durch andere Infektionskrankheiten, die Ernährungsweise, das tägliche Stresslevel und anderes weit eher bestimmt als durch die Anwesenheit eines Pilzes oder einer Milbe.
Haarausfall durch Kopfbedeckung
Ein modernerer Mythos um den Haarausfall sagt aus, dass das häufige und lange Tragen von Kopfbedeckungen aller Art zu einem Verlust des Haupthaars führen würde. Zur Untermauerung wird landläufig gerne angeführt, dass eine eng sitzende Kopfbedeckung die Mikrozirkulation in der Kopfhaut und damit die Sauerstoff- oder Nährstoffversorgung der Haarfollikel beeinträchtigen und langfristig zu deren Verkümmern führen würde.
Dem kann jedoch entgegengehalten werden, dass die Sauerstoff- und Nährstoffversorgung der Haarwurzeln über den Blutkreislauf sichergestellt wird und dass das Tragen einer Kopfbedeckung gleich welcher Art (bei sachgerechter Anwendung) nicht zu einer Störung der Mikrozirkulation führen kann.
Eine spezielle Form dieses Mythos wird oftmals von jungen Männern erfragt, die gerade die Rekrutenschule absolviert haben. Sie zeigen sich besorgt über einen potenziellen Haarverlust, den sie auf das Tragen des Helms während der Rekrutenschule zurückführen. Dies stellt insofern einen Sonderfall dar, als dass die Rekruten biologisch am Ende der Pubertät stehen und sich nunmehr ein stabiles Sexualhormonlevel im Kreislauf etabliert hat (siehe dazu auch nachfolgenden Abschnitt). Im Einzelfall kann die Stabilisierung des Hormonhaushalts mit dem Beginn einer (androgenetischen) Alopezie einhergehen. Da das Ende der Rekrutenschule beziehungsweise das längere Tragen eines Helms mit der beginnenden Alopezie zusammenfällt, wird daraus oft der Schluss gezogen, der Helm müsse auch für den Haarausfall verantwortlich sein. Dem ist nicht so, er ist vielmehr auf die Stabilisierung des Hormonhaushalts am Ende der Pubertät zurückzuführen.
Wodurch Haarausfall wirklich entsteht
Nachdem in den vorangegangen drei Abschnitten den Mythen und ihren möglichen Verbindungen zur Wirklichkeit Raum gegeben wurde, soll nun noch darauf eingegangen werden, wie die Alopezie tatsächlich entsteht.
Die Antwort ist, wie in vielen Fällen auch, sehr vielschichtig. Medikamente und eine ungenügende Ernährung können genauso eine Ursache sein, wie Narbenbildung durch Unfälle, Verbrennungen oder Verätzungen. Auch hormonelle Veränderungen im Alter oder bei Schwangerschaft sowie infolge der Menopause können für den Haarverlust verantwortlich sein. Die Ursache muss deshalb immer einzeln anhand der bestehenden Fakten ermittelt werden.
Die häufigste Form des Haarausfalls ist jedoch die androgenetische Alopezie. Unter dieser Form des Haarverlusts kann im Laufe des Lebens einschränkungslos jede Person leiden, da sie erblich vermittelt wird. Die androgenetische Alopezie basiert auf einer Überempfindlichkeit der Haarfollikel gegenüber dem Hormonderivat Dihydrotestosteron. Da dieses Hormon auch in der Kopfhaut vorkommt, kann es mit den Haarfollikeln in Kontakt treten und die Wachstumsphasen des Haars derart verkürzen, dass die Glatzenbildung das Ergebnis ist. Schlussendlich verkümmert der betroffene Follikel.
Mythen über die Behandlung von Haarausfall
Ebenso zahlreiche Mythen, wie der Haarausfall entsteht, gibt es auch bezüglich der Tatsache, wie er sich am besten bekämpfen lassen soll. Die am häufigsten anzutreffenden Mythen werden nachfolgend diskutiert. Wiederum sollte hierbei beachtet werden, dass diese Massnahmen vielleicht amüsant oder skurril auf Sie wirken, was zweifellos gewollt ist. Jedoch wird keine der nachfolgend genannten Massnahmen dazu beitragen, eine Alopezie aufzuhalten oder gar das verlorene Haar wieder wachsen zu lassen. Im schlechtesten Fall können solche Methoden sogar gesundheitliche Schäden mit sich bringen.
Öle und Fette
Die wohl ältesten Konzepte zur Behandlung von Haarausfall basieren auf der Anwendung von Ölen und Fetten. Diese werden einmassiert, aufgetragen oder anderweitig in physischen Kontakt mit den (verbliebenen) Haaren oder der Kopfhaut gebracht und sollen je nach Quelle zu einer Kräftigung des Haars oder Haarbodens führen. Dass ausgerechnet Öle und Fette zur Behandlung von Haarausfall vorgeschlagen werden, ist nicht darauf zurückzuführen, dass dies mit besonders grossem Erfolg versucht wurde, sondern vielmehr damit, dass es sich bei diesen Substanzen kulturhistorisch um die ältesten Naturprodukte handelt, die der Menschheit zur Körperhygiene zur Verfügung standen.
Zunächst verhält es sich so, dass Öle oder Fette auf den Haaren keine physiologischen Effekte haben können. Dies liegt darin begründet, dass der sichtbare Teil des Haars (der Haarschaft) nicht lebendig ist und über keinen eigenen Stoffwechsel verfügt. Aus diesem Grund kann auch aufgetragenes Fett keine Wirkung auf das Haar haben. Dieser Mythos kann sich jedoch deshalb so lange am Leben erhalten, weil ein lebendig aussehendes Haar über einen Glanz verfügt, der auf einen bestimmten (physiologischen) Fettgehalt zurückgeht; demgegenüber wird glanzloses und fettarmes Haar gerne mit der Eigenschaft der Sprödigkeit verbunden. Nichtsdestotrotz hat beides keinen Einfluss auf den Haarausfall.
Wie aber ist es, wenn das Öl oder Fett auf die Kopfhaut aufgebracht wird? Kann es dann zum nicht sichtbaren, lebendigen Teil des Haars (der Haarwurzel) vordringen und dort heilsame Effekte entfalten? Dem ist nicht so. Die Haut stellt eine starke Barriere gegen die Umwelt dar, durch die das Öl nicht einfach hindurchdringen kann; noch schwerer gelingt dies möglicherweise bioaktiven Molekülen oder Substanzen. Die menschliche Haut ist evolutionär darauf ausgerichtet, nicht alles was einen umgibt in den Organismus gelangen zu lassen. Im schlechtesten Fall resultieren aus einer Öl- oder Fettbehandlung sogar Hautprobleme, denn zu stark aufgetragene Öle und Fette können, wenn sie nicht durch Körperhygiene entfernt werden, zum Verschluss der Hautporen und damit zu Pickeln und lokalen Infektionen führen, die auf die Haarwurzel aufgrund der Entzündungsprozesse sogar eine schädigende Wirkung entfalten können.
Eine weitere oftmals propagierte Methode hatte zur Anregung des Haarwachstums genau das gegenteilige Ziel. Dabei ging es um die Entfettung des Haares mit Seifen, Alkohol, alkalischen oder sauren Lösungen. Dabei muss darauf hingewiesen werden, dass die oberflächliche Behandlung der Kopfhaut mit aggressiven Chemikalien, zu denen zweifelsfrei auch hochprozentiger Alkohol gehört, mit nicht absehbaren Folgen für die Haut und damit die Gesundheit verbunden ist. Neben der Tatsache, dass Alkohol dosisabhängig krebserregend wirkt, besteht eine gemeinsame Eigenschaft mit Laugen und Säuren darin, dass sie die physiologische Form von Eiweissen zerstören können (Denaturierung). Neben der Tatsache, dass dies den Stoffwechsel der Haut in nicht absehbarer Weise beeinträchtigt, besteht im Fall von stark alkalischen oder sauren Lösungen die Gefahr akuter Verätzungen. Gelangen die Lösungen in die Augen, kann dies auch zur Erblindung führen.
Lauchgewächse
Sowohl in der westlichen Welt als auch im Nahen und Fernen Osten gelten Knoblauch und Zwiebel seit Alters her als bewährte Hausmittel gegen Haarausfall. Höchstwahrscheinlich liegt dies auch, wie im Falle von Ölen, daran, dass diese Gewächse zu den ältesten Kulturpflanzen der Menschheit gehören und damit genug Zeit vergehen konnte, in der die Menschen die haarausfallhemmende Wirkung untersuchen konnten. Ein Rezept zielt beispielsweise darauf ab, eine halb geschnittene und eingekerbte Zwiebel in Branntwein einzulegen und diesen Sud in die Kopfhaut einzumassieren.
Es liegt zumindest nahe, dass Zwiebeln oder Knoblauch einen Effekt auf den Körper haben können. Dies verrät der Geruch, den eine Person verströmt, die grössere Mengen dieser Pflanzen verzehrt hat. Jedoch gilt für den Verzehr nicht dasselbe wie für die äusserliche Anwendung. Die zahlreichen Verbindungen, die zum Beispiel charakteristisch für den Geruch von Knoblauch sind, können die Haut bei äusserer Anwendung nicht durchdringen und bleiben aussen vor. Dies gilt auch für Zwiebeln.
Zwar besteht angesichts der Wirkungslosigkeit prinzipiell kein Grund dazu, jedoch sollte bei der Behandlung der Kopfhaut mit Zwiebeln oder Knoblauch unbedingt darauf geachtet werden, dass die Bestandteile unter keinen Umständen in die Augen gelangen, da die chemischen Verbindungen, die in den Lauchsorten enthalten sind, eine mehr oder weniger stark reizende Wirkung auf Augen und Schleimhäute haben können. Das sollte insbesondere dann beachtet werden, wenn die Zwiebel zuvor noch in hochprozentigem Alkohol eingelegt wurde. Die Behandlung sorgt zudem dafür, dass das natürliche Feuchtigkeitsgleichgewicht in der Haut durch Wasserentzug gestört wird. So kann die Haut austrocknen, rissig werden und bei mechanischer Beanspruchung reissen. Auf diese Weise können Entzündungen und im schlimmsten Fall unästhetische Vernarbungen entstehen.
Jedoch muss Folgendes angemerkt werden: Auch wenn Zwiebeln und Knoblauch keine Auswirkungen auf einen eventuellen Haarverlust haben, so gibt es doch für den Verzehr der Gewächse gute Gründe: Zum einen liegen sie darin, dass sie seit langer Zeit die Küche aller Kulturen bereichern und zum anderen gibt es vermehrt Hinweise darauf, dass der Verzehr von Knoblauch das Arterioskleroserisiko reduzieren kann.
Andere pflanzliche Behandlungsmethoden
Weitere Empfehlungen sprechen sich für die Behandlung des Haarausfalls mit allerlei Kräutern oder Früchten aus. Dazu zählen beispielsweise Salbei, Thymian, Wacholder, Rosmarin, Kletten, Brennnesseln, Bockshornklee oder Kalmus. Auch Zitronenschalen werden genannt. Jedoch ist empirisch keine Wirksamkeit dieser Pflanzen belegt, was zum Teil auf die oben genannten Gründe zurückgeführt werden kann. Demgegenüber sind Risiken, die vom Konsum einiger Pflanzen oder deren Teile ausgehen gleichwohl sehr gut dokumentiert. So sind beispielsweise die im Kalmus enthaltenen Asarone nachweislich mutagen, krebserregend und reproduktionstoxisch.
Gleiches gilt auch für die Anwendung eines besonderen Öls, des Crotonöls. Dieses wird aus dem gleichnamigen Crotonölbaum gewonnen und war in der sogenannten Volksheilkunde ein Hausmittel insbesondere für Verdauungsbeschwerden. Jedoch wird es in zeitgenössischen Medizinlexika auch zur Behandlung von Haarausfall empfohlen. Neben der Tatsache, dass auch dieses Öl nachweislich das Erbgut schädigen und zur Entstehung von Tumoren beitragen kann, geht die Behandlung noch mit einem anderen hochgradig unangenehmen Effekt einher: Innerhalb kurzer Zeit, nachdem das Öl mit der Haut in Kontakt gekommen ist, führt es zu schweren Hautreizungen und Entzündungen. Der Effekt ist dabei konzentrationsabhängig und hängt weiterhin von den individuellen Bestandteilen des Öls ab. Im Tierversuch konnte gezeigt werden, dass der Kontakt mit dem Öl eine Entzündungsreaktion anstösst, die das Einwandern von Granulozyten in die äussersten Hautschichten zur Folge hat. Auch wenn diese Entzündung nach 30 Stunden wieder abklingt, vermittelt das Öl eine bleibende Erbgutschädigung.
Einer anderen hauptsächlich pflanzlich gewonnenen Substanz wird ebenfalls eine Förderung des Haarwachstums nachgesagt. Gemeint ist hier das Koffein, das in seiner natürlichen Form hauptsächlich aus der Kaffeebohne stammt. Dabei entfaltet Koffein im menschlichen Körper zahlreiche physiologische Wirkungen, wenn es verzehrt wird, jedoch sagt ein weiterer Mythos aus, dass es das Haarwachstum fördern würde, wenn es äusserlich angewendet wird. Jedoch gibt es bislang keine Patientenstudien, in denen die Wirkung der äusseren Anwendung von Koffein klinisch bewiesen werden konnte. Auch wenn sich einige Studien mit den Auswirkungen des Koffeins in Modellsystemen auseinandersetzen, fehlen derartige Daten bislang für Betroffene von Haarausfall. Bewiesen ist bislang lediglich, dass die Shampoos und Tinkturen bei äusserer Anwendung nicht schädlich sind.
Zusammenfassend lässt sich also bezüglich der Behandlung des Haarausfalls mit pflanzlichen Mitteln sagen, dass diese im besten Fall überhaupt keinen Effekt auf die Alopezie haben und auch sonst keine physiologischen Wirkungen vermitteln. Im schlechtesten Fall können trockene und spröde Haut, oberflächliche Verletzungen, Infektionen mit Narbenbildung oder sogar Tumoren die Folge sein. Vorsicht ist deshalb gerade bei Präparaten geboten, deren Zusammensetzung der Anwender nicht genau kennt.
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Mineralische Behandlungsmethoden
Unter diesem Unterpunkt können Methoden zusammengefasst werden, die die Anwendung von Mineralien wie Schwefel oder Erdölfraktionen wie Teer umfassen. Auch diesbezüglich muss gesagt werden, dass in Teer, Erdölfraktionen und ähnlichem potenziell krebserregende Stoffe enthalten sein können. Jedoch handelt es sich bei solchen mineralischen Behandlungsmethoden eher um Randempfehlungen, deren genaue Anwendungsweise nicht genau beschrieben ist. Angesichts der potenziellen Gefahren scheinen sie daher allgemein vernachlässigbar.
Die Spanische Fliege
In einem weitverbreiteten Gesundheitslexikon der Volksmedizin aus dem Jahr 1920 werden zur Behandlung des Haarausfalls auch Spanische Fliegen als Spiritus, Seifen, Pomade oder Pflastermull empfohlen. Diese Tatsache verdient deshalb eine besondere Erwähnung, da der als Spanische Fliege bekannte Käfer (Lytta vesicatoria) über Jahrhunderte hinweg in weiten Teilen Europas als Allheilmittel in der Volksmedizin eingesetzt wurde. Dieser Einsatz basiert darauf, dass die Hämolymphe (vergleichbar mit Blut) des Käfers grössere Mengen des Stoffes Cantharidin enthält. Dieser wurde seit der Antike verschiedentlich genutzt. Belege gibt es für den Einsatz als Potenzmittel, wodurch eine lang anhaltende Erektion erreicht werden sollte, die unter Umständen sehr schmerzhaft war. Diese wird offenbar auf eine massive Reizung der Harnwege zurückgeführt. Aus diesem Grund ist Cantharidin auch nierenschädigend. In grösseren Dosen entfaltet es darüber hinaus eine neurotoxische Wirkung, welche schon bei geringen Konzentrationen zum Tod führen kann. Für die Anwendung als Mittel zu Bekämpfung des Haarausfalls könnte maximal sprechen, dass Cantharidin bei äusserer Anwendung als starkes Reizgift wirkt und neben Nekrosen starke Entzündungen verursacht. Möglicherweise geht die Empfehlung darauf zurück, dass das Einreiben der Kopfhaut mit dem Stoff die Durchblutung der Haut fördert und damit das Haarwachstum anregt. Dafür gibt es jedoch auch in diesem Fall keine empirischen Belege und angesichts der potenziellen Gefährdung durch das Cantharidin ist auch dringend von häuslichen Versuchen mit der Spanischen Fliege abzuraten.
Exzessives Kämmen
Eines scheint belegt zu sein: Für das Haarwachstum ist es von entscheidender Bedeutung, dass die Blutzirkulation und die Nährstoffversorgung der Kopfhaut sichergestellt werden. Dies ist eine Feststellung, der sich zweifellos jeder anschliessen dürfte. Um den Blutfluss zu fördern und somit das Wachstum der Haare anzuregen, kann man an einigen Stellen auch die Empfehlung antreffen, dass sich dies durch ein intensives Kämmen der Haare erreichen liesse. Dabei sollten die Kammspitzen im besten Fall die Kopfhaut berühren, um einen maximalen Effekt zu erzielen. Dazu ist zunächst zu sagen: Ja, die Blut- und Nährstoffversorgung ist essenziell, jedoch sollten etwaige Bemühungen darauf abzielen, diese Versorgung dauerhaft zu verbessern. Eine örtlich und zeitlich begrenzte starke mechanische Beanspruchung wird diesem Ziel dagegen nicht gerecht. Vielmehr besteht durch das kräftige Aufsetzen des Kamms die Gefahr von oberflächlichen Verletzungen. Durch die wirkenden Zugkräfte kann es darüber hinaus zum Reissen von Mikrogefässen kommen, wodurch Hämatome entstehen können. Beides kann nicht erwünscht sein. Somit gilt für das exzessive Kämmen, dass das richtige Ziel mit den falschen Mitteln verfolgt wird.
Wie sich Haarausfall tatsächlich behandeln lässt
Die vorangegangen Fakten mögen verdeutlicht haben, dass es in der Geschichte der Menschheit die vielfältigsten und kreativsten Bestrebungen gab, den Haarausfall aufzuhalten oder sogar umzukehren. Nach allem Dafürhalten sind alle vorgestellten Methoden nach dem heutigen Stand der Wissenschaft wenigstens wirkungslos bis maximal schädlich, um dieses Ziel zu erreichen.
Um eine Alopezie wirksam zu behandeln und für den Betroffenen ein ästhetisch anspruchsvolles Resultat zu erzielen, ist es notwendig, zunächst die Ursachen des Haarausfalls abzuklären. Dabei gibt es viele Faktoren zu beachten: Verursacht ein Medikament oder eine längere Mangelernährung den Haarausfall, kann diese Ursache unter Umständen beseitigt werden und es stellt sich von allein wieder ein natürlicher Haarwuchs ein (reversible Alopezie). Sind Vernarbungen durch Unfälle, Operationen oder Tierbisse die Ursache des Haarverlusts, spielen Ausprägungsgrad und Verlauf der Vernarbung eine wichtige Rolle für das Ergreifen bestimmter Massnahmen. Auch muss beachtet werden, in welchem Alter sich der Betroffene befindet; ist möglicherweise ein weiteres Fortschreiten der Alopezie möglich, was für die Wahl der einen gegenüber einer anderen Behandlungsmethode spricht?
Wie Sie erkennen können, ist eine generalisierte Behandlungsempfehlung im Sinne einer verantwortungsvollen Patientenbetreuung unmöglich. Aus diesem Grund möchten wir Sie zu Folgendem ermutigen: Sollten Sie unter Haarausfall leiden und sich deshalb in Ihrer Lebensqualität beeinträchtigt sehen, scheuen Sie sich nicht, ein persönliches Beratungsgespräch in unserer Klinik in Anspruch zu nehmen. Dabei ist es im Sinne eines ehrlichen und verantwortungsbewussten Umgangs jedoch unerlässlich, dass neben den Möglichkeiten einer Eigenhaartransplantation auch die Grenzen dieser Methode besprochen werden. Diesem Anspruch werden wir jederzeit gerne gerecht.