Haarfollikel aus dem 3-D-Drucker – was kann man erwarten?
Vorwort
Sehr geehrte Leserinnen und Leser,
die medizinische Forschung schreitet voran und stets gibt es neue, vielversprechende Entwicklungen, die auch Menschen helfen könnten, für die bislang noch keine Therapie zur Verfügung stand. Gerade im Bereich des Haarausfalls mit androgenetischer Alopezie als Ursache machte in der vergangenen Zeit die Technik des 3-D-Drucks von Haarfollikeln von sich reden. Damit ist gemeint, dass Haarfollikel als haarbildende Organe der Kopfhaut im Labor automatisiert „gedruckt“ werden können, um damit Kopfhautflächen, die von Haarausfall betroffen sind, wieder auffüllen zu können. Man erhofft sich von „gedruckten“ Haarfollikeln, dass diese in nahezu unbegrenzter Anzahl zur Verfügung stehen werden, in der Produktion extrem günstig sind und ohne die Gefahr einer Abstossungsreaktion verpflanzt werden können. Sollten diese Hoffnungen eintreten, wäre die androgenetische Alopezie vollständig therapierbar. Was zunächst recht abstrakt klingen mag, erweist sich aber bei näherer Betrachtung als Zukunftsmethode, die jedoch wie alle wissenschaftlichen Methoden noch einen intensiven Forschungs- und Etablierungsprozess durchlaufen muss. Bis sich die Hoffnung auf Haarfollikel aus dem 3-D-Drucker in der oben genannten Form erfüllen werden, ist also noch ein weiter Weg zu gehen.
In diesem Artikel möchte ich Ihnen dieses spannende Thema des 3-D-Drucks von Organen und Haarfollikeln im Besonderen näherbringen. Dazu werden wir zunächst beleuchten, wie es die Technik des Druckens überhaupt in die medizinische Forschung geschafft hat und auf welchen Prinzipien sie beruht. Danach wird es darum gehen, was die Technik leisten muss, damit ein „natürlicher“ Haarfollikel im 3-D-Drucker entstehen kann. Diese Anforderungen werden wir dann im Lichte von aktuellen Veröffentlichungen zu dem Thema betrachten, um zu prüfen, was sich in den letzten Jahren auf dem Gebiet getan hat, wo die Technik aktuell steht und welche Entwicklungen in der kommenden Zeit möglicherweise zu erwarten sind.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen viel Freude bei der Lektüre!
Herzlichst
Ihre Angela Lehmann
Vom Buchdruck bis zur Entwicklung von 3-D-Druckern in der Medizin
Will man verstehen, wie es zur Idee kam, menschliche Organe, zu denen auch Haarfollikel gehören, in einem 3-D-Druckverfahren herzustellen, müssen zunächst die Anfänge der Drucktechnik betrachtet werden: Im Mittelalter wurde das bekannte Wissen ähnlich wie heute in Büchern und Enzyklopädien festgehalten und an die Nachwelt weitergegeben. Allerdings konnten solche Bücher nur vervielfältigt werden, indem sie von Hand abgeschrieben wurden. Dies änderte sich in Europa erst mit der Erfindung des Buchdrucks durch Johannes Gutenberg im 15. Jahrhundert. Am grundlegenden Prinzip des Druckens hat sich bis weit in das 20. Jahrhundert nichts geändert: Farbe wird von einer Druckplatte auf eine zweidimensionale Ebene, das Papier, übertragen. Seit den 1980er-Jahren wurden dann in der Industrie Verfahren entwickelt, die nicht nur die Übertragung von Material in zwei Dimensionen (Länge und Breite) ermöglichen, sondern es auch erlauben sollten, dass in die Höhe gedruckt werden kann. Allgemein sind derartige Verfahren unter dem Begriff 3-D-Druck zusammengefasst.
Kleine 3-D-Drucker arbeiten nach dem folgenden Prinzip: Das Objekt, das hergestellt werden soll, wird durch eine Software in verschiedene Schichten zerlegt. Der 3-D-Drucker besteht im Wesentlichen aus einer Platte, welche die Basis für das Werkstück bildet, einem Druckkopf, der über ein Gestänge in allen Raumdimensionen bewegt werden kann, einer Materialzufuhr, wobei oft Kunststoffe zum Einsatz kommen, sowie einer Schnittstelle zum Computer. Der Druckkopf wird zu Beginn erhitzt, sodass der Kunststoff verflüssigt wird. Dann fährt der Kopf zum ersten Punkt der untersten Schicht, wobei etwas Druckmaterial abgegeben wird, das beim Abkühlen erstarrt, worauf sich der Druckkopf zum nächsten Punkt begibt und wieder Material absondert. Ist eine Schicht beendet, bewegt sich der Druckkopf ein Stück nach oben (oder die Basisplatte nach unten) und die nächste Schicht wird begonnen. Je nach Druckermodell, Material und Füllungsgrad des Werkstücks können so in wenigen Minuten oder Stunden gänzlich beliebige 3-D-Objekte gedruckt werden.
3-D-Drucker können heute mit unterschiedlichsten Materialien arbeiten und kommen für die Herstellung von kleinen Plastikteilen im Haushalt genauso zum Einsatz wie beim Hausbau, bei dem aus wesentlich grösseren 3-D-Druckern Fundamente und Wände gedruckt werden können (bspw. Sakin & Kiroglu, 2017). Aber auch in der Medizin hat die Technik des 3-D-Drucks Aufmerksamkeit erregt: Hier geht es nicht um die besonders grosse, sondern um die kleine Skalierbarkeit des Verfahrens. Im Idealfall sollte es möglich sein, einzelne spezialisierte Zellen im 3-D-Druckverfahren zu Geweben und diese wiederum zu ganzen Organen zu arrangieren. Dieses Verfahren wird auch als 3-D-Bioprinting bezeichnet und seit Beginn des 21. Jahrhunderts als vielversprechende Methode gehandelt, dem beständigen Mangel an Spenderorganen entgegenzuwirken und Menschen, die unter lebensbedrohlichen Krankheiten leiden, beispielsweise ein neues Herz, Nieren oder Lungenflügel zur Verfügung stellen zu können. Aktuellste Ergebnisse zeigen, dass die Technik, die sich noch vor 10 Jahren nach Science-Fiction anhörte, rasante Fortschritte macht: Israelischen Forschern ist es im Jahr 2019 gelungen, basierend auf menschlichem Gewebe ein Herz aus dem 3-D-Drucker zu erzeugen. Das gedruckte Herz ist zwar deutlich kleiner als ein echtes und kann auch noch nicht koordiniert schlagen, aber alle physiologischen Strukturen (also Gefässe, Muskeln und Nervenbahnen), die dazu benötigt werden, sind vorhanden (Noor et al., 2019). Diese Ergebnisse wurden weltweit von der Presse aufgegriffen und markieren einen grossen Fortschritt in der personalisierten regenerativen Medizin.
Sollte sich dieses Verfahren durchsetzen können, wäre damit der 3-D-Druck jedes beliebigen Organs möglich. Dazu zählen auch menschliche Haarfollikel, die infolge der androgenetischen Alopezie als häufige Form des Haarverlusts untergehen. Daher soll nachfolgend beleuchtet werden, wie weit die Technik des medizinischen 3-D-Drucks im Hinblick auf Haarfollikel fortgeschritten ist.
Menschliche Haarfollikel aus dem 3-D-Drucker
Grundlagen
Ähnlich wie auch im Falle des Herzens oder einer Niere handelt es sich bei einem Haarfollikel um ein Organ des menschlichen Körpers, das aus unterschiedlichen Zelltypen besteht, die unterschiedlicher Aufgaben erfüllen. Haarfollikel können allgemein auch als haarbildende Organe bezeichnet werden. Beim Menschen liegen die Haarfollikel eingebettet in der Haut vor und sind von aussen nicht sichtbar. Sichtbar ist dagegen das von ihnen gebildete Haar, das wir gerade im Kopfbereich modellieren, frisieren oder färben und so zu einem Ausdruck der persönlichen Individualität machen. Der schematische Aufbau eines Haarfollikels ist in der nachfolgenden Abbildung dargestellt.
Abbildung 1: Aufbau eines Haarfollikels
Anhand der Abbildung ist ersichtlich, dass am Aufbau eines Haarfollikels ganz unterschiedliche Strukturen beteiligt sind, die vorhanden sein müssen, damit der Follikel auch in der Lage ist, ein sichtbares Haar zu bilden. Im Zuge der androgenetischen Alopezie kommt es zu einem hormonell bedingten Verlust von aktiven Haarfollikeln, sodass auf der Kopfhaut auch weniger Haare wachsen.
Das Prinzip eines 3-D-Drucks eines Haarfollikels muss dementsprechend darauf beruhen, die spezialisierten Zellen, welche die Haarpapillen, versorgenden Blutgefässe und die anderen notwendigen Strukturen bilden, im dreidimensionalen Raum zusammenzufügen, und zwar so, dass die einzelnen Zellen und Gewebe auch an Ort und Stelle bleiben. Im Idealfall ist der fertig zusammengefügte Haarfollikel dann bereit zur Verpflanzung und produziert Haar genauso stabil, wie es auch ein physiologisch gewachsener Follikel tun würde.
Aktuelle Forschung zum 3-D-Bioprinting von Haarfollikeln
Dass man Überlegungen anstellte, 3-D-Druck-Verfahren zur Herstellung von Haarfollikeln einzusetzen, ging massgeblich auf zwei Ergebnisse zurück: Zunächst wurde versucht, die Aktivität der Follikel in den von Alopezie betroffenen Hautregionen durch isolierte körpereigene Stammzellen wieder anzuregen. Das erzeugte aber keine stabilen Ergebnisse, da sich die implantierten Stammzellen weiter differenzieren, teils von der Implantationsstelle wegwandern und somit die haarbildende Aktivität wieder verloren geht. Die andere wichtige Erkenntnis war, dass selbst, wenn es gelingt, Haarfollikel im Reagenzglas aus menschlichen Stammzellen zu klonen und diese beispielsweise in haarlose Mäuse zu implantieren, der resultierende Haarwuchs keiner bestimmten Richtung folgte. Selbst Haare, die nicht in die Haut einwuchsen, traten in ganz unterschiedlichen irregulären Winkeln aus, was – unter anderem – in ästhetischer Hinsicht inakzeptabel ist (Gnedeva et al., 2015). Aus diesen beiden Ergebnissen wurde geschlussfolgert, dass die am Haarfollikel beteiligten Zellen eine feste räumliche Anordnung besitzen mussten, damit es zur Haarproduktion kommt, und dass die Anordnung auch nach der Implantation beibehalten werden musste, damit das resultierende Haarwachstum stabil ist.
Diese Erkenntnis führte dazu, dass sich heute auf der ganzen Welt Forscher der Frage widmen, wie Haarfollikel erzeugt werden könnten, die erstens in ihrer räumlichen Anordnung stabil bleiben und zweitens auch Haare produzieren, deren Wachstumsrichtung sich genau bestimmen lässt. Ein Vorschlag für die Lösung dieses Problems wird in sogenannten Scaffolds gesehen. Darunter werden kleinste Stützstrukturen verstanden, an denen sich die Zellen des Follikels anheften lassen und die später bestenfalls ohne Probleme mit transplantiert werden können. Auf diese Weise stehen die Zellen des Follikels die ganze Zeit in engem räumlichem Kontakt und können so Botenstoffe austauschen, welche das Haarwachstum anregen.
Ein Erfolg bei diesem Ansatz konnte im Jahr 2018 durch die Arbeitsgruppe um Abaci et al. (2018) erzielt werden. Um die einzelnen Zellen des Haarfollikels in ihrer räumlichen Struktur zu halten, wurden diese in ein Scaffold aus dem 3-D-Drucker eingesetzt. Das Scaffold besteht in diesem Fall aus dermalen Fibroblasten (Bindegewebszellen), die in ein Gerüstmaterial eingebettet sind. In dem Scaffold befinden sich 4 mm lange Vertiefungen mit einem Durchmesser von 0,5 mm. In diese Vertiefungen gaben die Forscher dann Zellen, die in der Lage waren, eine Haarpapille zu bilden. Im Anschluss daran wurden die Vertiefungen im Scaffold mit Keratinozyten (Zelltyp der Oberhaut) aufgefüllt (siehe die nachfolgende Abbildung).
Abbildung 2: Anordnung der Zellen für 3-D-gedruckte Haarfollikel
Jedoch reichte die räumliche Anordnung der Zellen allein noch nicht aus, um eine Haarproduktion zu ermöglichen beziehungsweise war diese wesentlich schwächer als erwartet. Aus diesem Grund regten die Forscher spezielle Gene in den Zellen an, die mit der Haarproduktion in Verbindung stehen, wodurch die Haarproduktion bedeutend erhöht werden konnte. Für die Transplantation in einen lebenden Organismus mussten die gedruckten Haarfollikel aber noch über den Blutkreislauf mit Nährstoffen und Sauerstoff versorgt werden. Dies gelang ebenfalls im Druckverfahren, indem in die Gerüststruktur neben Fibroblasten auch Zellen eingebettet wurden, die im menschlichen Organismus für die Entstehung und das Wachstum von Blutgefässen (Venenendothelzellen) verantwortlich sind. Die auf diesem Weg erzeugten Hautkonstrukte mit den dermalen Papillen wurden dann in nackte Mäuse implantiert, wo sich das Haarwachstum einstellte. Mit diesem Experiment konnte demonstriert werden, dass man in der Lage ist, einen menschlichen Haarfollikel aus einzelnen Zelltypen räumlich „nachzubauen“, der auch nach der Transplantation ein stabiles Haarwachstum aufweist (Abaci et al., 2018).
Noch einen Schritt weiter ging das US-amerikanische Unternehmen Organovo, das im Jahr 2019 ein Patent auf 3-D-gedruckte Haarfollikel anmeldete. Dieses Patent umfasst die Technik, mit der Haarfollikel gedruckt werden können, welche dem Ansatz von Abaci und Kollegen (2018) nicht unähnlich ist: Verschiedene Zelltypen, die für die Herstellung und Aufrechterhaltung einer Haarpapille verantwortlich sind, werden mit Signalstoffen und anderen biologischen Komponenten zusammen in ein Scaffold eingelagert. Das Scaffold besteht im Fall von Organovo aus einem flexiblen Hydrogel. Im Gegensatz zu den vorherigen Versuchen, bei denen fast noch sämtliche Arbeitsschritte händisch ausgeführt wurden, beruht der Ansatz von Organovo auf einer Automatisierung des Druckprozesses, bei dem mehrere Zelltypen in einem Druckvorgang in das Scaffold eingebracht werden können. Zusätzlich sollen die resultierenden Haarfollikel auch bereit für die Implantation beim Menschen sein. Aktuell liegen jedoch noch keine Informationen vor, ob Organovo erfolgreiche Experimente mit menschlichen Probanden durchgeführt hat oder ob das Patent lediglich die Implantation der gedruckten Follikel umfasst (Patentnr.: US 2019 / 0275208 A1).
Realistische Bewertung des aktuellen Standes
Wie die diskutierten Beispiele zeigen, geht die Entwicklung zur Herstellung künstlich erzeugter Haarfollikel in grossen Schritten voran. Von der Erkenntnis, dass die räumliche Anordnung der Zellen in einem Follikel von kritischer Bedeutung für die Haarbildung ist, bis zur Erfindung, mit der sich solche Follikel nahezu vollständig automatisiert herstellen lassen, hat es weniger als zehn Jahre gedauert.
Mit den gedruckten Haarfollikeln werden grosse Hoffnungen verknüpft, denn bisher ist die nachhaltige Therapie der androgenetischen Alopezie als häufigste Form des menschlichen Haarverlusts darauf beschränkt, im Rahmen einer Eigenhaartransplantation Haarfollikel aus einer verfügbaren Spenderfläche zu entnehmen und in die haarlose Empfängerfläche zu verpflanzen. Zwar gibt es zwei Medikamente, die zugelassen sind, um den Haarausfall zu verlangsamen, jedoch können diese den Haarverlust weder aufhalten noch umkehren. Daher ergibt sich ein grosser Bedarf nach Möglichkeiten der künstlichen Herstellung von Haarfollikeln, die zur Transplantation geeignet wären.
Für die Herstellung dieser künstlichen Haarfollikel würden den Patienten, die sich für eine Behandlung mit gedruckten Haarfollikeln interessieren, Zellen entnommen werden. Entweder handelt es sich dabei bereits um Stammzellen oder andere Zellen (wie zum Beispiel aus dem Blut) können im Labor zu Stammzellen umprogrammiert werden. Daraus ergibt sich der grosse Vorteil, dass künstlich gedruckte Haarfollikel keiner Abstossungsreaktion unterliegen, sodass das Verfahren in dieser Hinsicht für jeden Menschen verfügbar wäre. Mit der Automatisierung des Druckprozesses, wie er in dem genannten Patent beschrieben wird, ist überdies der Vorteil verbunden, dass der Preis für gedruckte Follikel innerhalb kurzer Zeit nach der Einführung so niedrig sein dürfte, dass das Verfahren für die Praxen und Behandler wirtschaftlich profitabel wäre. Die Hoffnung auf eine zuverlässige Therapie der Alopezie, die für jeden möglich und noch dazu erschwinglich ist, dürfte sehr viele Interessenten für den Ansatz hervorbringen.
Jedoch sollten dabei die aktuellen Fakten auch nicht aus den Augen verloren werden: Fest steht, dass es aktuell möglich ist, Haarfollikel im 3-D-Druck aus menschlichen Zellen zusammenzufügen, die nach bestimmten biochemischen Behandlungsschritten Haare in zuvor nackten Mäusen produzieren. Die blosse räumliche Anordnung der Zellen reicht dafür nicht und die biochemischen Behandlungsschritte lassen sich nicht einfach am Patienten wiederholen, da die Nebenwirkungen fatal sein können, sodass die Effizienz der Behandlung am Menschen wohl niedriger wäre. Zudem bestehen bei der Haarproduktion grundlegende Unterschiede zwischen Menschen und Nagetieren: Zwar wurden menschliche Zellen in die Mäuse transplantiert, aber trotzdem kann aktuell niemand mit Sicherheit sagen, welchen Einfluss die Versuchstiere auf das Verfahren haben. Hier könnten grundlegende Unterschiede in der Anwendung am Menschen und bei Versuchstieren bestehen, die zu ganz anderen Ergebnissen oder eben auch Nebenwirkungen führen könnten, würde das Verfahren auf die gleiche Weise auf menschliche Patienten übertragen werden.
Zwar stellt die Anmeldung eines Patents, welches die vollständige Automatisierung des 3-D-Drucks von Haarfollikeln inklusive ihrer Transplantation umfasst, einen interessanten Schritt dar, dabei sind aber einige Aspekte hervorzuheben: Hierbei handelt es sich erstens um die rechtlichformale Seite, nach welcher das Patent die mögliche Anwendung der gedruckten Follikel mit dieser Methode schützt. Dies sagt aber nichts darüber aus, ob eine solche Anwendung bereits in dem geschilderten Umfang möglich ist. Es geht für die Patentanmelder also in erster Linie darum, sich mögliche künftige Gewinne an ihrer Erfindung zu sichern. Zweitens erklärt das Patent nicht in wissenschaftlich nachvollziehbarer Weise, wie genau die Behandlung ablaufen soll, wie die einzelnen Komponenten der Erfahrung erzeugt wurden oder wie weit die Anwendung am Menschen bisher erforscht wurde. Das Patent erklärt lediglich, wie eine solche Anwendung geschehen kann. Damit ist zum aktuellen Zeitpunkt wissenschaftlich aber nicht nachvollziehbar, wie weit der Entwicklungsprozess dieses Behandlungsansatzes tatsächlich vorangeschritten ist.
Fazit
3-D-Druckverfahren spielen mittlerweile in der Medizin eine wichtige Rolle, insbesondere, wenn es um künstliche Herstellung von Organen geht, für die bisher ein geeigneter Spender gefunden werden muss. Die gedruckten Organe sollen vergleichsweise günstig sein, unbegrenzt zur Verfügung stehen und für prinzipiell jeden Menschen infrage kommen. Neben Leber, Herz und Nieren, an deren Erzeugung mit Hochdruck geforscht wird, rückte in den letzten Jahren auch der 3-D-Druck von Haarfollikeln zur Behandlung des Haarausfalls in den Fokus der Wissenschaftler.
Schnell erkannte man dabei, dass die räumliche Anordnung der am Haarfollikel beteiligten Zellen kritisch für die Haarproduktion ist. Mithilfe von Gerüststrukturen gelang es, die Zellen der künstlichen Haarfollikel „am Platz zu halten“ und auch nachdem die gedruckten Follikel in Mäuse transplantiert wurden, produzierten diese weiter Haare. Dies mündete kürzlich in die Patentierung des voll automatisierten Behandlungsansatzes mit gedruckten Follikeln. Dabei muss jedoch beachtet werden, dass sich wissenschaftliche Berichte aktuell nur auf Versuchstiere beziehen und die dort angewandten Methoden so nicht auf den Menschen zu übertragen sind, da dies mit gravierenden Nebenwirkungen verbunden sein könnte. Das Patent muss in diesem Lichte als Schutz möglicher künftiger Wirtschaftsinteressen betrachtet werden und sagt nichts darüber aus, was heute wissenschaftlich oder technisch tatsächlich machbar ist.
Vor diesem Hintergrund werden wohl noch einige Jahre vergehen, bis tatsächlich erprobte Ansätze entwickelt werden, mit denen gedruckte Follikel stabil und wirtschaftlich erschwinglich zum Einsatz kommen können, wenn es um die Behandlung der Alopezie geht. Bis dahin bleibt die Eigenhaartransplantation der einzig nachhaltige Behandlungsansatz, wenn sich Patienten durch einen Haarverlust beeinträchtigt fühlen. Auch bei dieser Methode müssen der Patient und seine individuellen Charakteristika zwingend Berücksichtigung finden: Was möglich ist, ob eine Eigenhaartransplantation infrage kommt und mit welchem Behandlungsergebnis zu rechnen ist, kann nur in einem persönlichen Beratungsgespräch geklärt werden. Diese persönliche Betreuung kann kein noch so neuartiger Behandlungsansatz oder automatisierter Prozess ersetzen. Sollten Sie sich für eine Eigenhaartransplantation interessieren, möchte ich Sie an dieser Stelle herzlichst dazu ermuntern, Kontakt mit mir aufzunehmen, um ein persönliches Beratungsgespräch in unserer Klinik zu vereinbaren.
Herzlichst
Ihre Angela Lehmann
Weiterführende Literatur
Abaci, H. E., Coffman, A., Doucet, Y., Chen, J., Jacków, J., Wang, E., … Christiano, A. M. (2018). Tissue engineering of human hair follicles using a biomimetic developmental ap-proach. Nature communications, 9(1), 1–11.
Gnedeva, K., Vorotelyak, E., Cimadamore, F., Cattarossi, G., Giusto, E., Terskikh, V. V. & Terskikh, A. V. (2015). Derivation of hair-inducing cell from human pluripotent stem cells. PLoS One, 10(1), e0116892.
Noor, N., Shapira, A., Edri, R., Gal, I., Wertheim, L. & Dvir, T. (2019). 3D Printing of Per-sonalized Thick and Perfusable Cardiac Patches and Hearts. Advanced Science, 6, 1–10.
Sakin, M. & Kiroglu, Y. C. (2017). 3D Printing of Buildings: Construction of the Sustainable Houses of the Future by BIM. Energy Procedia, 134, 702–711.
US 2019 / 0275208 A1 (2019). Bioprinted Hair Follicles and Uses Therof. Online verfügbar unter: https://patents.google.com/patent/US20190275208A1/en [10.12.2019].