Künstlich hergestellte Eigenhaarimplantate

Vorwort

Sehr geehrte Leserinnen und Leser,

wie aus den Medien bekannt ist, werden die Menschen über diverse Informationskampagnen dazu aufgerufen, sich als Organspender zu engagieren, da die zur Verfügung stehende Menge und die Akzeptanz von Spenderorganen durch das Immunsystem des Empfängers oftmals nicht ausreichend sind, um alle Menschen, die auf eine Organtransplantation angewiesen sind, versorgen zu können. Aus diesem Grund gibt es schon seit längerer Zeit Bestrebungen, neue Quellen für transplantierbare Organe zu erschliessen. Beispielsweise ist es heutzutage keinesfalls unüblich, dass Patienten, die eine neue Herzklappe benötigen, die eines Schweineherzens erhalten. Jedoch sind der Transplantationsmedizin über die Arten hinweg enge Grenzen gesetzt.

Aus diesem Grund wird seit längerer Zeit im Labor versucht, künstliche Gewebe und Organe herzustellen, was als Bio- oder auch Tissue-Engineering bezeichnet wird. Diese würden den Vorteil bieten, dass es keine Abstossungsreaktionen mehr gibt und das Transplantat vollständig vom Immunsystem des Empfängers akzeptiert wird. Neben der möglichen Herstellung von Nieren, Herzklappen oder Lebern wären diese Techniken beispielsweise auch für Menschen interessant, die unter Alopezie leiden, aber denen aufgrund einer zu kleinen Spenderfläche die Möglichkeiten einer Eigenhaartransplantation nicht zur Verfügung stehen. Hier kam der Gedanke auf, dass auch die für eine solche Behandlung benötigten Haarfollikel künstlich in einer Zellkultur hergestellt werden können.

Tatsächlich gibt es solche Überlegungen ungefähr seit den 1970er-Jahren und ebenso lange werden Versuche unternommen, diese Ideen zu verwirklichen. Doch, wo steht die biomedizinische Erzeugung von Eigenhaartransplantaten aktuell? In meinem neuen Artikel möchte ich Ihnen den aktuellen Stand der Forschung sowie deren Grundlagen erläutern. Dabei wird es im Folgenden nicht allein um die Frage gehen, wie sich patientenspezifische Eigenhaartransplantate erzeugen lassen könnten, sondern auch darum, worin die eigentlichen Hürden bei der Erforschung solcher Therapieoptionen bestehen und was aus diesem Grund realistischerweise in den kommenden Jahren von der biomedizinischen Forschung erwartet werden kann.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen viel Freude bei der Lektüre!

Herzlichst, Ihre Angela Lehmann

Die künstliche Erzeugung von Organen und Geweben als mögliche Quelle für Eigenhaartransplantate

Seit einigen Jahren kann das sogenannte Bio-Engineering bzw. Tissue-Engineering – die künstliche Herstellung von Geweben und Organen – spektakuläre Fortschritte verzeichnen. So gibt es immer wieder Berichte darüber, dass in näherer Zukunft auch ganze Organe als dringend benötigte Implantate im Labor erzeugt werden könnten – mit höchster Immunkompatibilität und spezifisch auf jeden Empfänger zugeschnitten. Dahin gehend gibt es auch für die Erzeugung von Eigenhaartransplantaten Bestrebungen, diese empfängerspezifisch züchten zu können. Aus diesem Grund möchte ich Sie in meinem aktuellen Artikel über den aktuellen Forschungsstand zum Thema Eigenhaartransplantate aus dem Zellkulturlabor informieren.

Zurück zum Inhaltsverzeichnis

Woher weiss eine Zelle, was ihre Aufgabe im Körper ist?

Bevor wir uns der Frage annähern können, wie künstliche Gewebe und Organe, die potenziell zu einer Revolution in der Transplantationsmedizin führen könnten, erzeugt werden können, müssen wir uns damit befassen, weshalb eine Körperzelle überhaupt «weiss», was ihre spezifische Aufgabe in einem bestimmten Organ oder Gewebe ist. Hierbei kann man sich zunächst eine befruchtete Eizelle vorstellen. Diese teilt sich erst einmal, sodass aus ursprünglich einer Zelle zwei identische Zellen resultieren. Dieser Vorgang der Teilung geschieht immer wieder, sodass die Zahl einzelner Zellen stetig ansteigt. Ab einem gewissen Punkt jedoch verändern sich die Zellen, das heisst, sie durchlaufen den Vorgang der Spezialisierung. Während aus einer befruchteten Eizelle prinzipiell noch jede andere Körperzelle, also beispielsweise eine Haut-, Leber- oder Nervenzelle, werden kann, können sich einmal spezialisierte Zellen nicht mehr «umspezialisieren». Dieser Prozess wird auch als zelluläre Differenzierung bezeichnet und ist in ausgereiften Körperzellen auf natürlichem Wege nicht mehr umkehrbar. Das bedeutet, dass eine ausdifferenzierte Nervenzelle immer eine Nervenzelle bleiben wird.

Die ausdifferenzierten Zellen sind die Ursache dafür, dass der Körper aus verschiedenen Geweben besteht, wobei der Ausdruck «Gewebe» immer eine Ansammlung spezialisierter Zellen gleichen Typs bezeichnet. Verschiedene Gewebe unterscheiden sich dahin gehend, dass ihre Zellen beispielsweise über charakteristische Genexpressionsprofile verfügen. Das heisst beispielsweise, dass in einer Leberzelle mehr Gene abgelesen werden, die in Zusammenhang mit der Entgiftung des Körpers stehen, während in Nervenzellen mehr Gene abgelesen werden, die etwas mit der nervösen Informationsweiterleitung zu tun haben. Weiterhin unterscheiden sich die Zelltypen dahin gehend voneinander, dass sich die Zellen des einen Typs schneller teilen als die eines anderen. Daraus resultiert unter anderem die Tatsache, dass sich unterschiedliche Gewebe unterschiedlich stark und schnell regenerieren können. Dementsprechend verheilt eine Verletzung der Haut in der Regel innerhalb weniger Tage, während es Jahre dauern kann, bis sich Nervengewebe zum Beispiel nach einem Schlaganfall regeneriert (wenn überhaupt).

Diese noch bestehende Fähigkeit der zellulären Differenzierung wird durch verschiedene Begrifflichkeiten bezeichnet. Während eine befruchtete Eizelle beispielsweise jede andere Zelle des Körpers bilden kann (diese Eizelle wird totipotent genannt), können bestimmte Stammzellen nur noch ausgewählte Gewebe bilden (hier wird von pluri- oder multipotenten Zellen gesprochen). Nichtsdestotrotz hat man in den vergangenen Jahren festgestellt, dass auch in den Organen und Geweben eines erwachsenen Menschen noch pluripotente Stammzellen vorkommen, die sich – aufgrund der Tatsache, dass sie noch viele andere Gewebe bilden können – potenziell für die Therapie bestimmter Erkrankungen nutzen lassen. Teilt sich eine einmal spezialisierte Zelle dagegen nicht mehr, sondern «verrichtet lediglich ihre Aufgabe» im Körper, spricht man hier von seneszenten Zellen.

An dieser Stelle muss noch erwähnt werden, dass eine der nachfolgend zu besprechenden Herausforderungen darin besteht, dass ein Organ nicht immer nur aus einem Gewebe besteht, sondern sich aus Zellverbänden verschiedener Typen aufbaut. So lässt sich beispielsweise bei der menschlichen Haut zwischen mehreren Typen differenzieren: So sind die Fibroblasten die Vorläufer von Bindegewebszellen, demgegenüber sind zum Beispiel Keratinozyten an der Bildung der Oberhaut (Epidermis) beteiligt, während die Melanozyten durch die Produktion von Pigmenten für die Hautfarbe verantwortlich sind. Dementsprechend kann auch bei einem Haarfollikel nicht von einem Gewebe gesprochen werden, denn prinzipiell handelt es sich um ein Haarorgan.

Zurück zum Inhaltsverzeichnis

Welche Einflussmöglichkeiten ergeben sich auf Zellkulturen, um spezifische Gewebe und Organe zu erzeugen?

Alle Methoden, die darauf ausgelegt sind, Organe oder Gewebe im Labor herzustellen, zielen nun auf eine Änderung dieses zellulären evolutionären Spezialisierungsprogramms ab. Hierfür stehen mittlerweile zahlreiche Ansätze zur Verfügung. Doch muss auch hier zunächst noch ein kurzer historischer Exkurs erfolgen:

Mitte bis Ende des vergangenen Jahrhunderts waren die meisten Forscher noch davon überzeugt, dass der Körper eines Erwachsenen nur noch über sehr wenige pluripotente, gewebebildende Stammzellen verfügt, die sich auch nur eingeschränkt für eine Therapie nutzen lassen. Solche Zellen waren beispielsweise im Knochenmark beziehungsweise blutbildenden System bekannt. Zu dieser Zeit wurde unter anderem auch geglaubt, dass die Nervenzellen des Gehirns über gar kein Regenerationsvermögen mehr verfügen würden, diese Zellen also seneszent seien und dementsprechend zwar anwesend sind, aber nur noch ihren biologischen Aufgaben nachgehen. Jedoch wurden in den vergangenen etwa 30 Jahren immer mehr Gewebe des menschlichen Körpers identifiziert, in denen sich auch im Erwachsenenalter noch eine Stammzellaktivität nachweisen lässt, die sich als Quelle der Geweberegeneration nutzen lassen könnte. Zwar handelt es sich dabei nicht um totipotente Stammzellen (solche, die alle Gewebe bilden könnten), jedoch sind auch erwachsene (adulte) Stammzellen noch in der Lage, viele verwandte Gewebe zu bilden. So können sich adulte neuronale Stammzellen noch in Neurone (Nervenzellen) und Mikroglia (stellen die Versorgung der Neurone sicher) differenzieren, was beispielsweise bei Schlaganfällen wichtig für die Regeneration des Gehirns ist.

Um nun Stammzellen, gleich welcher Art, für das Bio-Engineering bzw. Tissue-Engineering von Transplantaten gewinnen zu können, besteht ein erster Schritt darin, diese aus dem Körper zu isolieren. Dies ist zwei Faktoren geschuldet: Zum einen kommen die Stammzellen oftmals nicht genau dort im Körper vor, wo sie für eine therapeutische Intervention benötigt werden (beispielsweise liegen bestimmte Stammzellen am Boden des Haarfollikels, während sie für einen therapeutischen Einsatz in den darüberliegenden Zellschichten gebraucht würden), zum anderen ist die Anzahl im Körper meist zu gering, um diese Zellen sinnvoll für eine Therapie nutzen zu können. Mit der Isolation ergibt sich nun die Möglichkeit, diese Stammzellen ausserhalb des Körpers in Nährlösungen mit entsprechenden Wachstums- und Differenzierungsfaktoren in Kontakt zu bringen, zu vermehren (die Teilungsfähigkeit lässt sich ausserhalb des Körpers mitunter stark anregen) und in einen gewünschten Zelltypus zu differenzieren. Manchmal wird die Vermehrung als «Klonen» bezeichnet, jedoch ist dieser Ausdruck in dem gegebenen Zusammenhang problematisch. Hierbei ergeben sich jedoch die ersten Probleme: Stammzellen verhalten sich ausserhalb des Körpers in einer Kulturschale (Petrischale) nicht so, wie sie es innerhalb des Körpers tun. Beispielsweise verlieren die Kulturen der Stammzellen ohne ersichtlichen Grund ihre Teilungs- oder Regerationsfähigkeit, sie differenzieren spontan zu einem nicht gewünschten Zelltypus oder gehen im Laufe der Zeit zu Mischformen über, die für eine weitere Erforschung nicht interessant erscheinen. Es ist dementsprechend eine grosse Herausforderung, für jeden einzelnen Zelltyp die richtigen Kulturbedingungen zu finden. Dies geschieht auch heute oftmals noch nach dem Prinzip Versuch und Irrtum.

Gelingt es einmal, die korrekten Kulturbedingungen zu ermitteln, ist es weiterhin von Bedeutung, den Zellen die richtigen Signale für eine mögliche Differenzierung zu geben. Hierfür stehen zahlreiche Wachstumsfaktoren zur Verfügung, die eine Vielzahl von Effekten hervorrufen können. Auch hierfür müssen die richtigen Kombinationen aufwendig erprobt werden, um zu einem zufriedenstellenden Ergebnis zu gelangen. Jedoch werden die kultivierten Stammzellen auch von Effekten beeinträchtigt, die sich im Labor nur schwer oder gar nicht reproduzieren lassen. Beispielsweise werden für eine erfolgreiche Differenzierung Kontakte zwischen Zellen des gleichen Typs, aber auch zwischen verschiedenen Typen benötigt. Auf diesem Weg kommunizieren die kultivierten Zellen untereinander, indem sie unter anderem Signalstoffe austauschen oder sich in bestimmter Weise in der Kulturschale anordnen. Wird dabei eine Zellart durch eine andere zur Differenzierung angeregt, wird von Induktion gesprochen.

Um zu verdeutlichen, dass das Austesten von Versuchsbedingungen keinesfalls trivial ist, wird nachfolgend kurz im Zeitverlauf dargestellt, wie die Induktion zur Bildung neuer Haarfollikel erforscht wurde: Eine solche Induktion konnte für die Neubildung von Haarfollikeln erstmals an Nagern gezeigt werden, indem im Jahr 1970 bei diesen Tieren ein induktives Potenzial der Papillarzellen (Zellen einer Hautschicht) festgestellt wurde. Es sollte jedoch 14 Jahre dauern, bis die Kulturbedingungen erprobt waren, sodass dieses induktive Potenzial auch bei in Zellkultur vermehrten Nager-Papillarzellen erhalten blieb. Allerdings hatten die Forscher grosse Schwierigkeiten, diese Erkenntnis auf den menschlichen Organismus zu übertragen. Dies war erst im Jahr 1999 der Fall, als es gelang, das induktive Potenzial zur Haarfollikelneubildung von menschlichen Scheidenzellen (diese sitzen in der Oberhaut, knapp unter der Epidermis), die in eine intakte Hautfläche implantiert wurden, zu belegen. Bemerkenswert dabei ist allerdings die Tatsache, dass diese Transplantation beim Menschen über die Geschlechtergrenze hinweg durchgeführt wurde und dennoch erfolgreich war. Es hat dennoch bis zum Jahr 2012 gedauert, bis es erstmalig möglich war, ein gesamtes Haarorgan in einem Empfängerkörper durch Stammzelltransplantation zu erzeugen. Dieses neue Haarorgan war an die komplette Nährstoffversorgung (Blut- und Lymphkreislauf) des umliegenden Gewebes angeschlossen, der neue Haarfollikel durchlief mehrere Haarzyklen und die gebildeten Haare konnten sich durch einen vorhandenen Haarmuskel aufrichten (Piloerektion, beim Menschen als Gänsehaut bezeichnet). Jedoch wurden für dieses Experiment wiederum Mäuse als Versuchstiere genutzt und es gelang bis heute nicht gänzlich, diese Ergebnisse auf den menschlichen Organismus zu übertragen. Weshalb das so ist, stellt für die Forscher nach wie vor ein Rätsel dar – an dem jedoch gearbeitet wird.

Zurück zum Inhaltsverzeichnis

Wie steht es aktuell um die Erzeugung von Follikeln für die Eigenhaartransplantation?

Bezogen auf den menschlichen Organismus war die eindeutige Identifikation der pluripotenten Stammzellen der Haut, die nahezu alle Gewebe bilden können, die in der Haut benötigt werden, eine bahnbrechende Erkenntnis der neueren Forschung. Durch eine Abstammungsanalyse konnten diese Zellen, die sich in alle Hautzellen (einschliesslich des Haarorgans) differenzieren können, im Körper identifiziert werden. Diese Stammzellen befinden sich am Boden der Einstülpung eines Haarfollikels und die Haarfollikelbildung kann durch den Kontakt mit teilweise spezialisierten Hautzellen induziert werden, wenn diese in Kontakt miteinander treten. Wenig später war es möglich zu zeigen, dass diese Fähigkeit auch erhalten bleibt, wenn die Zellen isoliert und in der Zellkultur vermehrt werden.

Jedoch stiessen die Forscher an diesem Punkt auf ein weiteres Problem, das zunächst nicht im Interessenfokus stand: Organe, und damit auch das Haarorgan, sind dreidimensionale Objekte, die sich in einer flachen, zweidimensionalen Zellkulturschale nur unzureichend erzeugen lassen. Dies liegt darin begründet, dass die optimalen Wachstums- beziehungsweise Differenzierungsbedingungen noch keine Garanten dafür sind, dass sich die Zellen räumlich auch so anordnen, wie es bei einem dreidimensionalen Haarfollikel in der Haut eines Menschen der Fall wäre. Hierfür sind weitere Modifikationen der Versuchsbedingungen erforderlich.

Untersuchungen, die sich auf das dreidimensionale Wachstum beziehen, wurden seitdem fortlaufend durchgeführt und führten im Jahr 2013 zu einem neuerlichen Durchbruch: Zu diesem Zeitpunkt war bekannt, dass die induktive Fähigkeit von menschlichen Papillarzellen, die Stammzellen dazu anregen können, neue Haarfollikel zu bilden, in Zellkulturen wenigstens teilweise verloren geht und dieser Umstand wurde auf den fehlenden zellulären Kontakt zu umliegenden Geweben, wie beispielsweise der Epidermis (Oberhaut) zurückgeführt. Aufbauend auf diesen Überlegungen gingen die Forscher dazu über, anstelle einer zweidimensionalen Versuchsanordnung einen dreidimensionalen Aufbau zu nutzen, bei welchem die Zellen nicht wie bisher am Boden eines Zellkulturgefässes wuchsen, sondern frei in Tröpfchen an der Decke einer Petrischale schwebten. Die nachfolgende Abbildung veranschaulicht, wie dieser Unterschied der Wachstumsbedingungen konkret aussieht.

Die Abbildung zeigt den Unterschied zwischen einer zweidimensionalen und einer dreidimensionalen Zellkultur. Während in der zweidimensionalen Variante sowohl in der (1) Seitenansicht und der (2) Aufsicht erkennbar ist, dass die Zellen lediglich eine Schicht am Boden der Petrischale bilden, organisieren sich die Zellen in der dreidimensionalen Versuchsanordnung in der (3) Seitenansicht und der (4) Aufsicht an der Decke der Petrischale in hängenden Tropfen der Nährlösung.

Die Abbildung zeigt den Unterschied zwischen einer zweidimensionalen und einer dreidimensionalen Zellkultur. Während in der zweidimensionalen Variante sowohl in der (1) Seitenansicht und der (2) Aufsicht erkennbar ist, dass die Zellen lediglich eine Schicht am Boden der Petrischale bilden, organisieren sich die Zellen in der dreidimensionalen Versuchsanordnung in der (3) Seitenansicht und der (4) Aufsicht an der Decke der Petrischale in hängenden Tropfen der Nährlösung.

Auch wenn man vermuten könnte, dass dies lediglich eine sehr kleine Änderung der Versuchsbedingungen darstellt, erwuchsen aus diesem Ansatz sehr interessante Veränderungen: Bei Untersuchungen zu den Genexpressionsprofilen, also der Frage, wie stark bestimmte Gene in der Zelle abgelesen werden, konnte festgestellt werden, dass die dreidimensionalen Zellkulturen den gewünschten Haarfollikelstammzellen um 22 Prozent ähnlicher sind als die Zellen, die in einer zweidimensionalen Zellkultur angezogen wurden. Diese Zellen aus einer dreidimensionalen Kultur wurden in der Folge auf haarlose Mäuse transplantiert und es bildeten sich neue Haarfollikel, die sowohl aus menschlichen als auch aus Mäusezellen bestanden und Haare produzierten. Weitere Untersuchungen müssen in der Folge zeigen, ob sich dieser Mechanismus auch bei einer Transplantation von Mensch zu Mensch bewährt. Jedoch bleibt dieses Experiment wegweisend, da es erstmals möglich war, humane Hautstammzellen zu isolieren und zu kultivieren, ohne dass die Fähigkeit zur Follikelbildung verloren ging, und dies dann auch durch die Transplantation auf einen anderen Organismus bewiesen wurde.

Nichtsdestotrotz ergeben sich für die weitere Erforschung zum Bio-Engineering von Haarfollikeln (seltener auch als Klonen von Haarfollikeln bezeichnet), die für die Behandlung einer Alopezie oder einer anderen Form des Haarverlustes geeignet wären, noch zahlreiche Schwierigkeiten. Davon wurden die Identifikation der geeigneten Kulturbedingungen und der Wechsel von einem zwei- auf ein dreidimensionales Versuchsdesign schon besprochen. Weitere Herausforderungen liegen darin, dass die neu gebildeten Haare nicht immer die Textur aufweisen, die gewünscht wird. So sind die gebildeten Haare mitunter wesentlich dünner oder dicker oder haben keine eigene Farbe, da die pigmentbildenden Melanozyten in dieser Versuchsanordnung fehlen. Ein weiteres Problem resultiert immer noch aus der räumlichen Anordnung der Zellen: Zwar bilden sich bei einer Transplantation Haarfollikel, jedoch wachsen diese ineinander, sind allgemein nicht scharf abgrenzbar oder aus einem Follikel wachsen mehrere Haarschäfte. Diese sind dann ungeordnet, sodass sich die spätere Wuchsrichtung der Haare im Falle einer Eigenhaartransplantation nur schwer bestimmen liesse, wollte man diese als Feinimplantate verpflanzen. Unklar ist nach wie vor auch, wie viele Haarzyklen ein solcher Follikel durchlaufen kann, bevor er abstirbt. Ohne diese Information liesse sich nur schwer abschätzen, wie nachhaltig eine Eigenhaartransplantation mittels künstlich erzeugter Haarfollikel wäre. Zudem darf bei aller Freude über die neuen Erkenntnisse nicht vergessen werden, dass eine solche Forschung immer mit einem grossen finanziellen Aufwand verbunden ist und finanzielle Interessen die Forschung immer mitlenken.

Das Schema zeigt, wie aus einem künstlich hergestellten Haarfollikel mehrere Haarschäfte in verschiedene Richtungen wachsen.

Das Schema zeigt, wie aus einem künstlich hergestellten Haarfollikel mehrere Haarschäfte in verschiedene Richtungen wachsen.

Zusammenfassend lässt sich daher sagen, dass die Forschung zum Bio-Engineering oder Klonen von Haarfollikeln zwar sicherlich auf einem guten Wege ist, wie die Erfolge der vergangenen Jahre zeigen. Jedoch liegt auch noch viel Arbeit vor den Forschern, sodass die Behandlung eines Haarausfalls mittels künstlich im Labor hergestellter Haarfollikel nicht gleich morgen möglich sein wird, jedoch erwartet werden kann, dass in den kommenden Jahren und Jahrzehnten die Verfahren so perfektioniert werden können, dass ein weitverbreiteter therapeutischer Einsatz von im Labor erzeugten Haarfollikeln möglich wird.

Jedoch steht auch heute mit der Eigenhaartransplantation bereits ein erprobtes Verfahren zur Verfügung, das es Menschen, die unter Alopezie oder anderen Formen des Haarausfalls leiden, ermöglicht, ihrem Leiden entgegenzuwirken. Ob dieses speziell für Sie eine geeignete Therapieoption und ob beispielsweise die Spenderfläche für eine Behandlung ausreichend ist, kann nicht pauschal gesagt werden. Hierzu sind eine fachkundige Beratung und Aufklärung der Patienten vonnöten, die sich für eine Eigenhaartransplantation interessieren. Wenn Sie ebenfalls das Gefühl haben, unter einem zunehmenden Haarverlust zu leiden, oder sich allgemein und unverbindlich für die Möglichkeiten und Grenzen einer Eigenhaartransplantation interessieren, möchte ich Sie an dieser Stelle dazu ermutigen, Kontakt mit mir bezüglich eines Beratungsgesprächs in unserer Klinik aufzunehmen, um zusammen eine verantwortungsvolle Lösung zu finden.

Herzlichst
Ihre Angela Lehmann

Zurück zum Inhaltsverzeichnis

Weiterführende Literatur

Higgins, C. A., Chen, J. C., Cerise, J. E., Jahoda, C. A. & Christiano, A. M. (2013). Microenvironmental reprogramming by three-dimensional culture enables dermal papilla cells to induce de novo human hair-follicle growth. Proceedings of the National Academy of Sciences, 110(49), 19679–19688.

Stenn, K. S. & Cotsarelis, G. (2005). Bioengineering the hair follicle: fringe benefits of stem cell technology. Current opinion in biotechnology, 16(5), 493–497.

Tezuka, K., Toyoshima, K. E. & Tsuji, T. (2016). Hair follicle regeneration by transplantation of a bioengineered hair follicle germ. Multipotent Stem Cells of the Hair Follicle: Methods and Protocols, 71–84.

Zurück zum Inhaltsverzeichnis